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Beyond Agile – Antifragilität in der Softwareentwicklung

In: Business TechnologyTechnology, 2015


In Software-Projekten geschehen immer wieder Ereignisse, die nicht vorhersehbar sind. Manchmal sind deren Auswirkungen so drastisch, dass sie dem Typ von Ereignis entsprechen, das seit Nassim Nicholas Taleb als Schwarzer Schwan bezeichnet wird. Um solche Schwarze Schwäne als Grundlage von Verbesserung zu nutzen, muss ein System eine besondere Eigenschaft haben: Es muss antifragil sein. Erste Ideen, wie die Bereiche Software-Architektur und Projektmanagement von Antifragilität profitieren können, will dieser Artikel zeigen.


In den letzten 15 Jahren habe ich kein einziges Software-Projekt erlebt, bei dem nicht irgendwann DIE ANFORDERUNG auftauchte. DIE ANFORDERUNG führte dazu, dass alle in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen in Bezug auf Architektur, Datenmodell, Schnittstellen oder andere relevante Bestandteile der Software in Frage gestellt werden mussten. Manchmal konnte DIE ANFORDERUNG wegdiskutiert werden, manchmal wurde sie zurückgezogen. Oft genug geschah es aber, dass DIE ANFORDERUNG realisiert werden musste. Die Aufwände dafür waren immens, die Frage nach der Wirtschaftlichkeit wurde besser gar nicht erst gestellt.

Da es in der Software-Entwicklung wenig gibt, das wirklich unmöglich ist, wurde DIE ANFORDERUNG natürlich – mit kleinen Kompromissen – umgesetzt. Was im Nachhinein in diesen Projekten geschah, war immer wieder aufs Neue faszinierend. Nachdem DIE ANFORDERUNG realisiert war, war allen klar, wo der Fehler lag: Die Entwickler konnten schlüssig zeigen, dass es sich um einen Spezifikationsfehler der Analysten handelte, die Analysten bewiesen, dass die Architekten nicht vorausschauend genug arbeiteten. Die Architekten wiederum erklärten, die Projektleitung habe schlicht falsch geplant.

Interessanterweise kam niemand auf die Idee, einen solchen Fall als normal zu betrachten. Ich auch nicht, bis ich begann, mich mit Denkmodellen und unwahrscheinlichen Ereignissen zu beschäftigen. Mir wurde klar: In der Retrospektive konnten alle genau erklären, warum es dazu gekommen war, dass DIE ANFORDERUNG für das Projekt so kritisch wurde. Nur vorhersehen konnte es niemand. Weil DIE ANFORDERUNG ein Schwarzer Schwan ist.

Der Schwarze Schwan und die Five Orders of Ignorance

Die Bezeichnung Schwarzer Schwan geht auf einen systematischen Denkfehler zurück, der uns Menschen zu eigen ist. Wir gehen häufig davon aus, dass empirische Erfahrungen mit unbedingten Wahrheiten übereinstimmen. Dabei reicht schon eine einzige Abweichung, um dieses empirische Wissen zu falsifizieren. Im Falle der Annahme, alle Schwäne seien weiß, fand dieses Ereignis durch die Entdeckung von Australien statt. Dort gibt es schwarze Schwäne.

Unsere menschliche Neigung, das eigene, empirisch gesammelte Wissen sehr hoch zu bewerten, führt immer wieder dazu, dass wir von unvorhersehbaren Ereignissen überrascht und zu Opfern Schwarzer Schwäne werden. Ein Schwarzer Schwan nach Talebs Definition ist ein nicht vorhersehbares Ereignis mit drastischen Folgen. Diese Folgen können sowohl positiv wie auch negativ sein, üblicherweise nehmen wir jedoch nur die Schwarzen Schwäne mit negativen Folgen wahr. Dem liegt ein Denkmuster zugrunde, welches die Grundlage unseres Selbstbewusstseins ist: Entwickelt sich etwasmstark positiv, führen wir das auf unsere Fähigkeiten zurück. Im umgekehrten Fall suchen wir nach einer externen Ursache für die negative Entwicklung – wir glauben, dass wir einfach Pech hatten.